Autor: Wencke

LIDA-SH – warum der Austausch mit der Informations- und Dokumentationsstelle Antisemitismus in Schleswig-Holstein so wichtig ist

LIDA-SH – warum der Austausch mit der Informations- und Dokumentationsstelle Antisemitismus in Schleswig-Holstein so wichtig ist

Vor etwa zwei Jahren wurde auch in meinem Heimat-Bundesland Schleswig-Holstein eine unabhängige Meldestelle für Antisemitismus geschaffen – ein wichtiger Schritt im Sichtbarmachen von Antisemitismus! 

Ich habe mich sehr gefreut, dass LIDA-SH nun gemeinsam mit den Melde- und Dokumentationsstellen anderer Bundesländer einen sehr wertvollen Beitrag leisten wird: Die Schaffung einer Empirie, einer sachlichen Statistik über antisemitisch motivierte Vorfälle. 

Warum ist das so wichtig? Und warum reicht meiner Meinung nach die Statistik der Polizei zum Beispiel nicht aus? 

Meldestellen wie LIDA-SH, die auch Mitglied im Bundesverband RIAS sind, arbeiten niedrigschwelliger: Die Meldung eines Vorfalls kann ganz einfach über die Website erfolgen und vor allem können Betroffene und/oder Zeug:innen hier auch Vorfälle melden, die keinen Straftatbestand darstellen. In erster Linie geht es hier nicht um eine Anzeigenerstattung wie bei der Polizei, sondern um die Meldung- und damit Dokumentation. Und das kann verschiedene positive Effekte haben, die sich auch in der Arbeit der Antisemitismusprävention niederschlagen: 

Zum einen finden hier Betroffene Gehör, können ihr Anliegen „loswerden“, sie werden anonym behandelt und müssen damit keine negativen Auswirkungen ihrer Meldung fürchten. Auch wenn Vorfälle nicht strafrechtlich verfolgt werden können, erfahren Betroffene hier eine Sichtbarkeit ihrer Diskriminierung. Zum anderen liefert LIDA-SH wie auch die anderen Stellen wertvolle empirische Arbeit für Bildungs- und Präventionsarbeit gegen Antisemitismus. Die erhobenen und ausgewerteten Daten liefern wichtige Informationen zu  Ausmaß, Formen und Schwerpunkten des Phänomens. Mit diesen ganz konkreten und auch lokalen Beispielen kann ich Seminare viel näher an der Lebenswirklichkeit meiner Teilnehmer:innen gestalten. Ich kann deutlich machen, dass Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Thema ist und zum Beispiel keines von nur bestimmten Gruppen, sozialen Räumen oder lokalen Zusammenhängen. Vorfälle, die in der Umgebung meiner Teilnehmer:innen stattgefunden haben, können einen engeren Bezug herstellen und damit im besten Fall eine Verantwortung oder ein Engagement fördern, dass Antisemitismus in der unmittelbaren Umgebung keinen Ort haben darf. 

Die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Melde- und Dokumentationsstellen und Demokratiepädagogik halte ich für sehr groß. Als Praktikerin profitiere ich inhaltlich und konzeptionell vom Datenmaterial. Und andersherum können die Feedbacks aus den Seminaren auch den Meldestellen wichtige Fragen beantworten: Wie schaffen es Meldestellen konkret Antisemitismus sichtbarer zu machen? Wie gut lässt sich das empirische Material in der Praxis verwenden? 

Über all diese Fragen stehe ich im regelmäßigen Austausch mit Joshua Vogel, dem Leiter von LIDA-SH. Über diese aktive und bereichernde Zusammenarbeit freue ich mich sehr. Wenn wir unsere Expertisen stetig austauschen, können wir alle gemeinsam sehr viel mehr im Engagement gegen Antisemitismus erreichen. 

Als Betroffene, Angehörige oder Bekannte von Betroffenen, und auch als Zeug:innen könnt ihr hier ganz einfach antisemitisch motivierte Vorfälle melden: 

LIDA-SH: https://www.lida-sh.de/meldeformular/ 

Bundesverband RIAS: https://report-antisemitism.de/report

Wie auf einer Reise nach Israel das Museum of dialogue entstand

Wie auf einer Reise nach Israel das Museum of dialogue entstand

Vorab erschienen in Raawi – Jüdisches Magazin (https://raawi.de)

Ich erinnere mich noch genau an den Moment, in dem ich wusste „Jetzt passiert etwas in ihnen, jetzt öffnen sie sich wirklich und schauen neugierig in eine andere Welt, von der sie noch nicht viel wissen.“ Diese Gedanken hatte ich am letzten Tag unserer ersten Projektwoche im Rahmen eines Schulprojekts gegen Antisemitismus und Rassismus. Wir, das sind 14 Schüler*innen der Otto-Hahn-Stadtteilschule in Hamburg Jenfeld, meine Kollegin Nici und ich. An diesem Freitagvormittag sitzen wir nun im Seminarraum eines Hamburger Bildungsträgers im Kreis mit unserem Besuch: Mascha, Judith und Alexander von Meet a jew.  Dieses Projekt engagiert sich für den Austausch unter jüdischen und nichtjüdischen Menschen in Deutschland. Ehrenamtliche wie diese drei besuchen Gruppen und erzählen von ihren persönlichen Zugängen zum Judentum. Ziel ist neben Informationsvermittlung und Dialog vor allem auch die Darstellung der Vielfältigkeit der jüdischen Community in Deutschland. Das Momentum an diesem Freitag, das der Anfang von Allem weiteren unserer gemeinsamem Projektzeit werden wird, beginnt, als die drei von Meet a jew über ihre Lieblingsessen sprechen, sie erzählen was bei Ihnen am Shabbat auf den Tisch kommt. Auf einmal sind alle aus der Gruppe aufmerksam und aktiv dabei: „Das machen wir auch zuhause!“, „Wie macht ihr den Hummus?“, „Wie machen am Freitag immer Persischen Reis.“, „Wie ist das mit gefüllten Weinblättern? Sind die koscher?“ oder „Koscher ist ja ähnlich wie Halal:“ Ab da dreht sich alles nur noch ums Essen. Unsere Jugendlichen, deren Familien unter anderem aus der Türkei, Afghanistan, Portugal, dem Kosovo und Syrien stammen, sind so begeistert, dass wir gemeinsam beschließen bald an einem Freitagabend zusammen zu kochen, zu essen und gemeinsam den Shabbat zu begehen. Einige Wochen später findet dieser Abend statt. Alle haben etwas von ihren Lieblingsessen mitgebracht, zusammen kochen wir noch Shakshuka und schnibbeln den Salat. Judith spricht den Segen über Challa und Wein und dann geht das Festessen los. Das bestimmende Gesprächsthema an diesem Abend ist unsere bevorstehende Reise nach Israel. Die Fischraelis haben viele Fragen. Diesen Namen werden sie sich am ersten Tag, in der Altstadt von Jaffa mit Blick auf das Mittelmeer geben. Es ist eine Kombination aus Fisch (der für Hamburger*innen steht) und Israelis. Der gemeinsame Name steht für all die Erfahrungen und das Wachsen der Gemeinschaft, die diese Otto-Hahn-Schüler*innen für immer teilen werden. Und daraus ist bereits etwas Neues entstanden, aber dazu später mehr. 

Während des jüdisch-deutsch-arabisch-persisch-türkisch-portugiesisch-kosovarisch-kurdisch-muslimischen Festmahl bestimmt die Aufregung die Runde. Aufregung über die Erfahrungen, die einige beim Visa-Antrag gemacht hatten, beim Überzeugen der Eltern, dass das Ganze eine gute Idee ist, bei der Vorfreude über all das Unbekannte und über das angeblich so tolle Essen bei Turkish Airlines. Dies ist der zweite Moment, an dem ich ganz fest spüre, dass hier was Tolles beginnen kann. Der dritte wird sein, als sie verkünden: „Unser Hashtag bei Instagram ist #fischraelis, wir sind die Fischraelis!“ Unsere Reise ist übrigens auf dem Instagram Profil von Bleicherhaus e.V., die als Träger die Reise möglich machten, dokumentiert worden. Jeden Tag erstellten die Fischraelis Beiträge und Stories über ihre Erlebnisse und Erfahrungen. Eine Sammlung, die einen guten Eindruck über die Energie und Atmosphäre der Reise, des Landes, der Menschen dort und der Fischraeli-Gruppe gibt. 

Und es gab so viel zu dokumentieren. Verrückt, was alles in nur 9 Tagen passieren kann: Ein Auf und Ab der Gefühle mit Überraschungen, Ertappen bei eigenen Vorurteilen, mit abendlichen Reflexionsrunden in denen diskutiert oder einfach nur gespielt wurde. Vor allem war alles ganz anders als sich die Fischraelis Israel und die Leute dort vorgestellt hatten. Ein Beispiel: Elias hatte vorher Bedenken, ob er als junger Mann mit afghanischen Backround überhaupt ins Land gelassen werde. Er war dann derjenige, der am ersten Tag bereits mit zwei neuen „Onkeln“ und ihren Händlergeschichten vom Marktausflug zurückkam. Eine von so vielen Begegnungen, die im Moment und vor allem für alles danach viel verändert haben. Auch bei mir. Obwohl ich Israel schon so lange kenne, viele Freund*innen dort habe und es als eines meiner Zuhause sehe, habe ich das Land auf dieser Reise auch noch mal ganz neu kennenlernen dürfen. Nämlich durch die Augen der Jugendlichen. Durch sie habe ich wieder neu erfahren wie groß die Vielfalt dort ist. Nach so vielen Jahren war das für mich „normal“. Durch sie bin ich wieder neu sensibilisiert worden, wie „unnormal“ die Grenzsituation zwischen Israel und dem Westjordanland ist. Der Anblick der Zäune und Sicherheitsanlagen war mir so sehr vertraut, dass ich sie gar nicht mehr als das wahrgenommen habe, was sie symbolisieren: Den immer noch nicht gelösten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Die nachhaltigste Veränderung für mich und in mir passierte in Jerusalem. Die Fischraelis lehrten mich, dass Religion eine durchaus positive Wirkung haben kann. Sie lehrten mich, was ihnen Religion bedeutet und was es für sie bedeutet dort in Jerusalem zu sein. Ich mag Jerusalem, es ist eine tolle Stadt voller Geschichte, voller Menschen, die vielfältigste Gemeinschaft auf kleinsten Raum, die ich kenne. Doch die religiösen Aspekte betrachtete ich immer skeptisch. Die Fixierung auf die jeweiligen Orte der drei großen Religionen Judentum, Christentum und Islam war mir sehr fremd. Wozu immer die Aufregung? Glauben kann ich doch überall. Und vor allem auch die Konflikte, die in Jerusalem aus vermeintlich religiösen Gründen heraus entstehen, betrachtet ich negativ. Doch als ich Raquel nach ihrem Gebet in der Grabeskirche und Jalda und Bilkiss nach ihrem Besuch in der Al-Aqusa-Moschee wiedersah, sprach aus ihren Gesichtern große Freude. Keine laute Freude, eine stille spirituelle. Sie sahen so aus wie ich, wenn ich Stunden das Meer betrachtet habe. Ich habe in diesen Momenten verstanden,  dass es möglich ist, an diesen konfliktbeladenen Orten Ruhe und Frieden zu finden. So wie ich am Meer. Ich sehe Jerusalem seit dem mit anderen Augen. 

Diese Momente der inneren Veränderung hatten wir alle während der Reise. Wenn auch an anderen Orten, zu anderen Zeiten, während anderer Begegnungen. Das Bedürfnis diese neuen Erfahrungen mit den Menschen daheim zu teilen, hatten ebenfalls alle. Doch nicht immer stoß man damit auf Zustimmung. Einige Fischraelis mussten Kritik aushalten. Kritik darüber, dass sie in Israel waren, dass sie damit dieses Land unterstützten, damit Verräter*innen der eigenen Community seien. Sie reagierten gut auf diese negativen Reaktionen, argumentierten mit ihren persönlichen Erfahrungen und Eindrücken, die sie auf der Reise sammeln konnten. „Am Ende sitzt dir doch nur ein Mensch gegenüber. Ich überlegte irgendwann überhaupt nicht mehr, ob der nun Jude, Muslim oder Christ ist, mit dem ich gerade spreche“, sagte Mine einmal als wir schon lange wieder zurück in Hamburg waren. 

In Begegnungen und Dialogen steckt ein großes Potential, um Vorurteile und Hass abzubauen. Begegnungen und Dialoge funktionieren aber auch nicht einfach so. Man muss darüber lernen, lernen wie man erzählt und zuhört, so dass ein guter Austausch entstehen kann. Das ist das, was die Fischraelis von ihrer Reise nach Israel mitgenommen haben. Das ist das, was das Nachfolgeprojekt Museum of dialogue leisten soll. Es soll ein virtueller Raum des Austauschs entstehen, dem Projekte an Schulen vorausgegangen sind. Als erstes gründen wir hierfür einen Verein, um der Idee der Fischraelis ein Zuhause zu geben.  Wenn Corona uns lässt, können schon im Herbst erste Projekte durchgeführt werden. Und das mit Sicherheit mit einigen Fischraelis, die ihre Erfahrungen weitergeben werden. 

Widen the Circle – ein Netzwerk gegen den Hass

Widen the Circle – ein Netzwerk gegen den Hass

Im November 2020, mitten im dunklen Corona-Herbst, sitze ich am Schreibtisch, blicke auf meinen Laptop und sehe dort in einen Zoom-Raum voller Menschen, diesseits und jenseits des Atlantiks. Ich schaue in Gesichter, die offen und neugierig sind, die wie ich freundlich und interessiert auf den zweidimensionalen Online-Kreis von Widen the Circle (https://widenthecircle.org) schauen. 

Heute Abend geht es um lokale Projekte gegen Rassismus in den USA und gegen Antisemitismus in Deutschland. Projekte, die auf persönliche Initiativen gegründet wurden und oft gegen viele Hürden kämpfen mussten. 

Ich höre fasziniert einer kleinen älteren Dame, Shelia Washington, zu. Sie erzählt so lebendig von ihrer Arbeit, von ihrem langjährigen Engagement für die Erinnerung an die „Scotsborro boys“, das in die Gründung des Scotsborro Boys Museum in Alabama mündete, dass ich vergesse, wie viel Atlantik zwischen uns liegt, dass es bei mir 21 Uhr abends ist und bei ihr erst nachmittags. Shelia Washington schafft es in kurzer Zeit, mit uns allen in der Runde eine Verbindung zu knüpfen. Eine Verbindung, geknüpft über unser aller Wunsch, ganz persönlich etwas gegen Vorurteile und Hass zu unternehmen. Und zwar nicht unbedingt auf großer Bühne, sondern im Kleinen, im Lokalen, im Alltäglichen, im Menschlichen. Im Arbeiten mit der eigenen Geschichte, dem Teilen dieser und dem Arbeiten an einer Gesellschaft, die Vielfalt als Chance sieht und nicht als Bedrohung. Ein solches Engagement trifft nicht immer und überall auf Zustimmung und Begeisterung, denn die Auseinandersetzung mit den eigenen Schattenseiten fällt nicht jeder:jedem leicht. Auch davon berichtet Shelia Washington. 

Das Projekt aus Scottsborro, die Gesprächsatmosphäre des Abends und vor allem die Persönlichkeit von Shelia Washington haben mir an diesem Abend neuen Mut und neue Motivation gegeben. Corona hatte auch bei mir Tribut gefordert und ich haderte sehr mit meiner Arbeit in der Antisemitismusprävention, die seit vielen Monaten mehr oder weniger auf Eis lag. Gleichzeitig sah ich in den Medien immer mehr Berichte über steigenden Hass und Spaltung überall. Ich war wirklich frustriert. Doch das Beispiel aus Alabama und die Gemeinschaft von Widen the Circle haben mir so viel gegeben, dass ich mich an diesem Abend entschlossen habe weiterzumachen. Und nicht nur das. Ich entschloss mich, den nächsten Schritt zu wagen und mein eigenes Bildungsunternehmen zu gründen. An diesem Abend wurde das Pflänzchen Stories for tomorrow – Ein Raum für Wandel und Lernen sehr viel gegossen. Und nun darf es erste Wurzeln schlagen und Blätter bilden. Leider ist Shelia Washington nicht bei uns auf dieser Welt. Ich bin sehr dankbar, dass ich sie an diesem Abend noch kennenlernen durfte. 

Seit diesem November 2020 bin ich ein aktives Mitglied im Widen the Circle Netzwerk und freue mich jedesmal wieder über den Austausch mit den Organisator:innen und anderen Mitgliedern. Während des letzten Sommerforums im Juli 2021 durfte ich in einem kleinen Dialog ein wunderbares Projekt, das Meschugge-Theater Offenbach (https://meschugge-offenbach.de), vorstellen und so auch einen Teil zur weiteren Vernetzung von Akteur:innen gegen Hass und Vorurteile beitragen. Denn davon lebt Widen the Circle: vom lebendigen Austausch unter den Netzwerk-Partner:innen und der Schaffung von Räumen, in denen wir als Engagierte Kraft schöpfen und Inspiration erhalten können. 

Wenn ihr noch mehr über die Geschichte von und hinter Widen the Circle erfahren wollt, schaut einfach hier: https://widenthecircle.org/about-us oder die deutsche Seite: https://widenthecircle.org/de/about-us 

Und vielleicht sehen wir uns ja bei einem der nächsten Treffen?