Vorab erschienen in Raawi – Jüdisches Magazin (https://raawi.de)
Ich erinnere mich noch genau an den Moment, in dem ich wusste „Jetzt passiert etwas in ihnen, jetzt öffnen sie sich wirklich und schauen neugierig in eine andere Welt, von der sie noch nicht viel wissen.“ Diese Gedanken hatte ich am letzten Tag unserer ersten Projektwoche im Rahmen eines Schulprojekts gegen Antisemitismus und Rassismus. Wir, das sind 14 Schüler*innen der Otto-Hahn-Stadtteilschule in Hamburg Jenfeld, meine Kollegin Nici und ich. An diesem Freitagvormittag sitzen wir nun im Seminarraum eines Hamburger Bildungsträgers im Kreis mit unserem Besuch: Mascha, Judith und Alexander von Meet a jew. Dieses Projekt engagiert sich für den Austausch unter jüdischen und nichtjüdischen Menschen in Deutschland. Ehrenamtliche wie diese drei besuchen Gruppen und erzählen von ihren persönlichen Zugängen zum Judentum. Ziel ist neben Informationsvermittlung und Dialog vor allem auch die Darstellung der Vielfältigkeit der jüdischen Community in Deutschland. Das Momentum an diesem Freitag, das der Anfang von Allem weiteren unserer gemeinsamem Projektzeit werden wird, beginnt, als die drei von Meet a jew über ihre Lieblingsessen sprechen, sie erzählen was bei Ihnen am Shabbat auf den Tisch kommt. Auf einmal sind alle aus der Gruppe aufmerksam und aktiv dabei: „Das machen wir auch zuhause!“, „Wie macht ihr den Hummus?“, „Wie machen am Freitag immer Persischen Reis.“, „Wie ist das mit gefüllten Weinblättern? Sind die koscher?“ oder „Koscher ist ja ähnlich wie Halal:“ Ab da dreht sich alles nur noch ums Essen. Unsere Jugendlichen, deren Familien unter anderem aus der Türkei, Afghanistan, Portugal, dem Kosovo und Syrien stammen, sind so begeistert, dass wir gemeinsam beschließen bald an einem Freitagabend zusammen zu kochen, zu essen und gemeinsam den Shabbat zu begehen. Einige Wochen später findet dieser Abend statt. Alle haben etwas von ihren Lieblingsessen mitgebracht, zusammen kochen wir noch Shakshuka und schnibbeln den Salat. Judith spricht den Segen über Challa und Wein und dann geht das Festessen los. Das bestimmende Gesprächsthema an diesem Abend ist unsere bevorstehende Reise nach Israel. Die Fischraelis haben viele Fragen. Diesen Namen werden sie sich am ersten Tag, in der Altstadt von Jaffa mit Blick auf das Mittelmeer geben. Es ist eine Kombination aus Fisch (der für Hamburger*innen steht) und Israelis. Der gemeinsame Name steht für all die Erfahrungen und das Wachsen der Gemeinschaft, die diese Otto-Hahn-Schüler*innen für immer teilen werden. Und daraus ist bereits etwas Neues entstanden, aber dazu später mehr.
Während des jüdisch-deutsch-arabisch-persisch-türkisch-portugiesisch-kosovarisch-kurdisch-muslimischen Festmahl bestimmt die Aufregung die Runde. Aufregung über die Erfahrungen, die einige beim Visa-Antrag gemacht hatten, beim Überzeugen der Eltern, dass das Ganze eine gute Idee ist, bei der Vorfreude über all das Unbekannte und über das angeblich so tolle Essen bei Turkish Airlines. Dies ist der zweite Moment, an dem ich ganz fest spüre, dass hier was Tolles beginnen kann. Der dritte wird sein, als sie verkünden: „Unser Hashtag bei Instagram ist #fischraelis, wir sind die Fischraelis!“ Unsere Reise ist übrigens auf dem Instagram Profil von Bleicherhaus e.V., die als Träger die Reise möglich machten, dokumentiert worden. Jeden Tag erstellten die Fischraelis Beiträge und Stories über ihre Erlebnisse und Erfahrungen. Eine Sammlung, die einen guten Eindruck über die Energie und Atmosphäre der Reise, des Landes, der Menschen dort und der Fischraeli-Gruppe gibt.
Und es gab so viel zu dokumentieren. Verrückt, was alles in nur 9 Tagen passieren kann: Ein Auf und Ab der Gefühle mit Überraschungen, Ertappen bei eigenen Vorurteilen, mit abendlichen Reflexionsrunden in denen diskutiert oder einfach nur gespielt wurde. Vor allem war alles ganz anders als sich die Fischraelis Israel und die Leute dort vorgestellt hatten. Ein Beispiel: Elias hatte vorher Bedenken, ob er als junger Mann mit afghanischen Backround überhaupt ins Land gelassen werde. Er war dann derjenige, der am ersten Tag bereits mit zwei neuen „Onkeln“ und ihren Händlergeschichten vom Marktausflug zurückkam. Eine von so vielen Begegnungen, die im Moment und vor allem für alles danach viel verändert haben. Auch bei mir. Obwohl ich Israel schon so lange kenne, viele Freund*innen dort habe und es als eines meiner Zuhause sehe, habe ich das Land auf dieser Reise auch noch mal ganz neu kennenlernen dürfen. Nämlich durch die Augen der Jugendlichen. Durch sie habe ich wieder neu erfahren wie groß die Vielfalt dort ist. Nach so vielen Jahren war das für mich „normal“. Durch sie bin ich wieder neu sensibilisiert worden, wie „unnormal“ die Grenzsituation zwischen Israel und dem Westjordanland ist. Der Anblick der Zäune und Sicherheitsanlagen war mir so sehr vertraut, dass ich sie gar nicht mehr als das wahrgenommen habe, was sie symbolisieren: Den immer noch nicht gelösten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Die nachhaltigste Veränderung für mich und in mir passierte in Jerusalem. Die Fischraelis lehrten mich, dass Religion eine durchaus positive Wirkung haben kann. Sie lehrten mich, was ihnen Religion bedeutet und was es für sie bedeutet dort in Jerusalem zu sein. Ich mag Jerusalem, es ist eine tolle Stadt voller Geschichte, voller Menschen, die vielfältigste Gemeinschaft auf kleinsten Raum, die ich kenne. Doch die religiösen Aspekte betrachtete ich immer skeptisch. Die Fixierung auf die jeweiligen Orte der drei großen Religionen Judentum, Christentum und Islam war mir sehr fremd. Wozu immer die Aufregung? Glauben kann ich doch überall. Und vor allem auch die Konflikte, die in Jerusalem aus vermeintlich religiösen Gründen heraus entstehen, betrachtet ich negativ. Doch als ich Raquel nach ihrem Gebet in der Grabeskirche und Jalda und Bilkiss nach ihrem Besuch in der Al-Aqusa-Moschee wiedersah, sprach aus ihren Gesichtern große Freude. Keine laute Freude, eine stille spirituelle. Sie sahen so aus wie ich, wenn ich Stunden das Meer betrachtet habe. Ich habe in diesen Momenten verstanden, dass es möglich ist, an diesen konfliktbeladenen Orten Ruhe und Frieden zu finden. So wie ich am Meer. Ich sehe Jerusalem seit dem mit anderen Augen.
Diese Momente der inneren Veränderung hatten wir alle während der Reise. Wenn auch an anderen Orten, zu anderen Zeiten, während anderer Begegnungen. Das Bedürfnis diese neuen Erfahrungen mit den Menschen daheim zu teilen, hatten ebenfalls alle. Doch nicht immer stoß man damit auf Zustimmung. Einige Fischraelis mussten Kritik aushalten. Kritik darüber, dass sie in Israel waren, dass sie damit dieses Land unterstützten, damit Verräter*innen der eigenen Community seien. Sie reagierten gut auf diese negativen Reaktionen, argumentierten mit ihren persönlichen Erfahrungen und Eindrücken, die sie auf der Reise sammeln konnten. „Am Ende sitzt dir doch nur ein Mensch gegenüber. Ich überlegte irgendwann überhaupt nicht mehr, ob der nun Jude, Muslim oder Christ ist, mit dem ich gerade spreche“, sagte Mine einmal als wir schon lange wieder zurück in Hamburg waren.
In Begegnungen und Dialogen steckt ein großes Potential, um Vorurteile und Hass abzubauen. Begegnungen und Dialoge funktionieren aber auch nicht einfach so. Man muss darüber lernen, lernen wie man erzählt und zuhört, so dass ein guter Austausch entstehen kann. Das ist das, was die Fischraelis von ihrer Reise nach Israel mitgenommen haben. Das ist das, was das Nachfolgeprojekt Museum of dialogue leisten soll. Es soll ein virtueller Raum des Austauschs entstehen, dem Projekte an Schulen vorausgegangen sind. Als erstes gründen wir hierfür einen Verein, um der Idee der Fischraelis ein Zuhause zu geben. Wenn Corona uns lässt, können schon im Herbst erste Projekte durchgeführt werden. Und das mit Sicherheit mit einigen Fischraelis, die ihre Erfahrungen weitergeben werden.