Widen the Circle – ein Netzwerk gegen den Hass
Im November 2020, mitten im dunklen Corona-Herbst, sitze ich am Schreibtisch, blicke auf meinen Laptop und sehe dort in einen Zoom-Raum voller Menschen, diesseits und jenseits des Atlantiks. Ich schaue in Gesichter, die offen und neugierig sind, die wie ich freundlich und interessiert auf den zweidimensionalen Online-Kreis von Widen the Circle (https://widenthecircle.org) schauen.
Heute Abend geht es um lokale Projekte gegen Rassismus in den USA und gegen Antisemitismus in Deutschland. Projekte, die auf persönliche Initiativen gegründet wurden und oft gegen viele Hürden kämpfen mussten.
Ich höre fasziniert einer kleinen älteren Dame, Shelia Washington, zu. Sie erzählt so lebendig von ihrer Arbeit, von ihrem langjährigen Engagement für die Erinnerung an die „Scotsborro boys“, das in die Gründung des Scotsborro Boys Museum in Alabama mündete, dass ich vergesse, wie viel Atlantik zwischen uns liegt, dass es bei mir 21 Uhr abends ist und bei ihr erst nachmittags. Shelia Washington schafft es in kurzer Zeit, mit uns allen in der Runde eine Verbindung zu knüpfen. Eine Verbindung, geknüpft über unser aller Wunsch, ganz persönlich etwas gegen Vorurteile und Hass zu unternehmen. Und zwar nicht unbedingt auf großer Bühne, sondern im Kleinen, im Lokalen, im Alltäglichen, im Menschlichen. Im Arbeiten mit der eigenen Geschichte, dem Teilen dieser und dem Arbeiten an einer Gesellschaft, die Vielfalt als Chance sieht und nicht als Bedrohung. Ein solches Engagement trifft nicht immer und überall auf Zustimmung und Begeisterung, denn die Auseinandersetzung mit den eigenen Schattenseiten fällt nicht jeder:jedem leicht. Auch davon berichtet Shelia Washington.
Das Projekt aus Scottsborro, die Gesprächsatmosphäre des Abends und vor allem die Persönlichkeit von Shelia Washington haben mir an diesem Abend neuen Mut und neue Motivation gegeben. Corona hatte auch bei mir Tribut gefordert und ich haderte sehr mit meiner Arbeit in der Antisemitismusprävention, die seit vielen Monaten mehr oder weniger auf Eis lag. Gleichzeitig sah ich in den Medien immer mehr Berichte über steigenden Hass und Spaltung überall. Ich war wirklich frustriert. Doch das Beispiel aus Alabama und die Gemeinschaft von Widen the Circle haben mir so viel gegeben, dass ich mich an diesem Abend entschlossen habe weiterzumachen. Und nicht nur das. Ich entschloss mich, den nächsten Schritt zu wagen und mein eigenes Bildungsunternehmen zu gründen. An diesem Abend wurde das Pflänzchen Stories for tomorrow – Ein Raum für Wandel und Lernen sehr viel gegossen. Und nun darf es erste Wurzeln schlagen und Blätter bilden. Leider ist Shelia Washington nicht bei uns auf dieser Welt. Ich bin sehr dankbar, dass ich sie an diesem Abend noch kennenlernen durfte.
Seit diesem November 2020 bin ich ein aktives Mitglied im Widen the Circle Netzwerk und freue mich jedesmal wieder über den Austausch mit den Organisator:innen und anderen Mitgliedern. Während des letzten Sommerforums im Juli 2021 durfte ich in einem kleinen Dialog ein wunderbares Projekt, das Meschugge-Theater Offenbach (https://meschugge-offenbach.de), vorstellen und so auch einen Teil zur weiteren Vernetzung von Akteur:innen gegen Hass und Vorurteile beitragen. Denn davon lebt Widen the Circle: vom lebendigen Austausch unter den Netzwerk-Partner:innen und der Schaffung von Räumen, in denen wir als Engagierte Kraft schöpfen und Inspiration erhalten können.
Wenn ihr noch mehr über die Geschichte von und hinter Widen the Circle erfahren wollt, schaut einfach hier: https://widenthecircle.org/about-us oder die deutsche Seite: https://widenthecircle.org/de/about-us
Und vielleicht sehen wir uns ja bei einem der nächsten Treffen?